Lofoten: Unentdecktes Boulder-Paradies

Die Lofoten sind allen ein Begriff, die gerne mit eigener Ausrüstung klettern. Kaum jemand weiß von ihrem enormen Boulderpotenzial.

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Schließ die Augen und stell dir perfektes Klettern auf Granit vor. Öffne sie wieder, zwinker einmal, um die Yosemite-Bilder wegzubekommen. Probiere es noch einmal. Wenn du beim zweiten Versuch glatte Granitwände siehst, die direkt aus dem Meer aufsteigen, und rundherum grüne, mit Schafen übersäte Weiden, alles im Schein einer tiefstehenden Sonne, die niemals ganz untergeht, bist du mit mir fast schon dort! Richte deinen Blick jetzt auf den Fuß der Wände, wo riesige Felsbrocken an weißen Sandstränden liegen, und schau dann noch in die andere Richtung in die tiefen Täler. Auch dort findest du nämlich richtige Kletterschätze.

Ich werde jetzt versuchen, unserer gemeinsamen Vision realistischere Umrisse zu verleihen. Du weißt schon, dass wir auf den Lofoten sind. Ich bin überzeugt, dass dies einer der schönsten Orte der Erde ist. Und es gibt hier so viele Klettermöglichkeiten! Wenn ich in zehn Punkten zusammenfassen müsste, was ich von einer perfekten Sommerdestination erwarte, und die Lofoten bewerten müsste, sähe das Ergebnis wie folgt aus:

Landschaft

Ich mag Orte, an denen ich mich von den Bergen und dem Meer überwältigen lassen kann und deren Kontrast die Schönheit beider unterstreicht. Schließlich brauchen wir alle etwas Schönes, um Instagram zu füttern, oder? Die Lofoten sind ein Synonym für wunderschöne Landschaften. Voraussetzung Nr. 1 ist damit restlos erfüllt.

Felsqualität

Eine Sache, die auf Instagram-Fotos nur schwer zu erkennen ist. Ich habe schon viele atemberaubende Orte besucht, an denen die Felsqualität jedoch schlecht war. Wenn du vor hast, während deines Urlaubs vor allem zu klettern, möchtest du wahrscheinlich nach zwei Stunden Bouldern keine dreitägige Pause einlegen, weil deine Fingerkuppen wundgescheuert sind. So wie du keine Lust hast, dir wegen des brüchigen Felsgesteins Sorgen um deine Gesundheit und dein makelloses Aussehen zu machen. Der Fels muss also fest sein und darf deine Haut nicht durchscheuern. Auf den Lofoten gibt es Stellen, an denen du deine Fingerkuppen schnell durchscheuerst, wie zum Beispiel Flagstatpollen, aber zum größten Teil ist das Gestein hier vom Meerwasser poliert und deine Haut nicht in Gefahr. Auch ich bin gesund und mit einem breiten Lächeln von dort zurückgekehrt, woraus sich schließen lässt, dass loses Gestein nicht so oft abbröckelt.

Wetter

Es gibt nämlich viele schöne Orte mit schönen, kompakten Felsen. Ich wette, Äquatorialafrika und der Amazonas-Dschungel haben jede Menge cooler Felsen. Aber niemand, der bei Sinnen ist und klettern möchte und nicht nur visuell mitreißendes Material fürs RedBull-Marketing sammelt, kann die Breitengrade und die herrschenden Jahreszeiten des Ortes, den er besuchen will, ignorieren. Die Grundlektion ist, dass man im Sommer in den Norden oder in die Hemisphäre reist, in der gerade Winter herrscht. Ich war zweimal auf den Lofoten und habe dort insesamt fünf Wochen verbracht. In diesen fünf Wochen gab es nur sechs Tage, an denen wir wetterbedingt nicht kletterten – vier Tage regnete es und zweimal schien es uns zu heiß zum Bouldern. Für den Rest der Zeit waren die Bedingungen ideal. Der allgegenwärtige Wind reguliert die Feuchtigkeit des Felsens und die geografische Lage der Lofoten macht sie zu einer Zuflucht vor der Hitze, die im übrigen Europa entweder vom unbemerkten Beginn der globalen Erwärmung oder durch die heiße Diskussion über Magnesia auf tschechischen Kletter-Websites verursacht wird. Kurz gesagt, die Lofoten sind ein Ort, an dem du in einer obligatorischen Pudelmütze boulderst, und das nicht nur wegen des Stils. Auch ein langärmliges Shirt wirst du meistens brauchen. Natürlich ist das Wetter ein unberechenbarer Aspekt jedes Ausflugs und ich habe meistens Glück damit. Also, falls dein Lofoten-Urlaub verregnet sein sollte, sei nicht böse auf mich – wahrscheinlich mache ich gerade irgendwoanders Urlaub, wo gerade die Sonne scheint.

Frieden und Sicherheit

Diese Forderung erschöpft sich bei mir nicht in der Abwesenheit von Kriegskonflikten. Wenn du Menschenmassen genauso wenig magst wie ich, solltest du diesen Artikel über die Lofoten lieber nicht mit zu vielen Freunden teilen. Auf den Lofoten gilt nämlich immer noch, dass du öfter allein als mit Dutzenden anderen Besuchern bouldern wirst. Das gilt leider nicht für den Besuch von Sehenswürdigkeiten, aber in der Regel genügt es, sich Tipps für schöne Touren bei den Einheimischen zu holen und die Ratschläge von einschlägigen Fremdenführern zu ignorieren. Ruhe und Einsamkeit sind immer noch zu finden. Auf den Lofoten brauchst du dir keine Sorgen zu machen, ob du dein Auto abgeschlossen hast und noch alles darin vorfindest, was du darin gelassen hast. Alles, womit du dich befassen musst, ist das richtige Programm beim Bouldern. 

Vielfalt

Je länger ich klettere, desto größeren Wert lege ich darauf. Ich verstehe, dass für viele Kletterer die Kletterstil-Vielfalt an einem neuen Ort eher ein Nachteil ist, da sie länger brauchen, um sich an die örtlichen Standards zu gewöhnen und eine Route zu bewältigen. Aber wenn du das Klettern eher als Spaß denn als Schicksal betrachtest, um deine Grenzen wieder um ein Stück zu verschieben, sind die Lofoten ein großartiger Spielplatz für dich. Hier findest du alles von technischem Reibungsklettern auf glatten Flächen bis zu löchrigen Überhängen. Du kannst dich an langen Dynamos versuchen, Leisten und schöne Kanten klettern. Vielfalt bedeutet auch, dass dein dickes Mädchen sich hier auf 8As einstimmen kann, während du einen konstanten Nachschub an 6As bekommst, die du wie am Fließband besteigen kannst. Oder natürlich auch umgekehrt.

Jede Menge Möglichkeiten

Über die Lofoten ist vor vier Jahren endlich der umfangreiche Kletterführer "Lofoten Bouldering" von Jonas Paulsson erschienen. Darin findest du wunderschöne Fotos und 700 Boulderprobleme in allen der am weitesten entwickelten Gebiete der Inseln. Bei meinen zwei Besuchen auf den Lofoten habe ich es geschafft, in den meisten Gebieten zu klettern, habe aber bei weitem noch nicht alle Boulder bestiegen. Und ein enormes Potenzial liegt meiner Meinung nach immer noch brach. Dies gilt insbesondere für die schwersten Linien, die ihre Erstbesteigung noch nicht hinter sich haben. Ich bin sicher, dass es hier ein paar Juwelen gibt, die nur darauf warten, dass ihre Entdecker sie in Klassiker verwandeln. Die meisten unbestiegenen Linien mit Schwierigkeitsgrad 8 liegen in den Gebieten Kvalvika, Storura, Trolldalen und um Svolvær. Möglichkeiten zur Erstbesteigung von Siebener-Routen und leichteren Bouldern gibt es wirklich überall.

Lokale Zugänglichkeit

In ganz Skandinavien gibt es kein Problem mit der Zugänglichkeit von Orten und dem Aufenthalt dort, egal wo man hinfährt. Und für die Lofoten gilt dies aufgrund ihrer geringen Größe umso mehr. Die Nordländer bieten eine sympathische Eigenheit, die man Recht zum Umherschweifen nennt (Englisch: Every man´s right oder Freedom to roam, Anm. d. Ed.). Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass ein Bauer seine Waffe auf dich richtet, wenn du über seine Wiese spazierst. Auf dem Land kannst du dich auf den meisten Grundstücken frei bewegen und überall schlafen, wo dies nicht ausdrücklich verboten ist. Denk dabei aber daran, den Grundstücksbesitzern Respekt entgegenzubringen. Wenn du eine Pilger-Seele hast und gern in Seen und im Meer badest, und dies lieber an abgelegenen Orten, wirst du dich auf den Lofoten wie im siebten Himmel fühlen. Die meisten Felsen befinden sich in der Nähe von Parkplätzen, mit Ausnahme der Sektoren Klavika oder Bunes.

Dienstleistungen

Teuer, aber ausgezeichnet, um mich kurzzufassen. Auf die Lofoten sind wir jedes Mal mit einem Van gefahren, der es uns ermöglichte, genügend Dinge mitzubringen, für die wir kein Geld ausgeben wollten – unser eigenes Auto, Bouldermatten, Essen, Medikamente, Alkohol. All dies ist in Norwegen zwei- bis dreimal, Alkohol sogar bis zehnmal so teuer. Trinkwasser bekommt man hier aber an der Tankstelle kostenlos. Oder du kannst dich erkundigen, ob das Wasser aus den Seen, die oft als Wasserreservoire dienen, trinkbar ist. Es genügt, die Einheimischen zu fragen. Diesel kostet 1,60 €/l. Die Handy-Netzabdeckung ist einwandfrei und an den meisten Orten gibt es 4G. Norwegen ist zwar nicht in der EU, aber fürs Roaming gelten hier die gleichen Regeln. Youtuber können also bedenkenlos hierherkommen. Meine Freundin musste übers Internet arbeiten und nichts stand ihr dabei im Wege, wenn man von der Ablenkung durch die natürliche Schönheit mal absieht. Größere Siedlungen – von einigen übertrieben als Städte bezeichnet – sind immer in Reichweite. Also egal, ob du ein Einkaufszentrum, ein Krankenhaus oder ein Café benötigst, es ist kein Problem.

Erschwinglichkeit

Meine Erfahrung sagt, dass man überall genau so viel ausgibt, wie man bereit ist, auszugeben. Es bleibt jedoch wahr, dass der Norden weder billig noch nah ist. Die Kosten für den Aufenthalt kannst du auf Diesel, Fähren und Straßenbenutzungsgebühren reduzieren, wenn du bereit bist, Fische zu fangen und einen ordentlichen Vorrat an Reis und Nudeln mitzubringen. Wenn du nicht die Geduld hast, mit dem Auto zu fahren, kannst du für ca. 350 € von Wien nach Bodø fliegen. Aus meiner Sicht empfand ich jedoch jeden in die Lofoten investierten Euro als gut angelegt.

Gesellschaftsleben

Wenn du auf eigene Faust auf die Lofoten reist, triffst du viele Kletterer, die ähnlich drauf sind, besonders in der Umgebung von Heningsvær under Presten und Gandalf. Wenn du wie wir zum Bouldern hierher kommst, rechne jedoch nicht mit haufenweise neuen Freunden. Ich persönlich mag Ruhe und Einsamkeit in den Ferien. Auf den Lofoten brauchte ich nicht lange danach zu suchen. Wenn du ein Einzelgänger bist, gibt es nichts zu überlegen. Wenn du jedoch Gesellschaft bevorzugst, kehr ins Klettercafé in Heningsvær ein. Wenn schon nichts anderes, gibt es hier großartige Burger.

Was tun auf den einzelnen Inseln?

Falls du gerade Pläne schmiedest, hier noch ein paar Tipps auf den Weg. Wenn du deinen Lofoten-Besuch von Süden her mit der Fähre nach Moskenes beginnst, solltest du keinesfalls den Strand von Kvalvika auf der südlichsten Insel Mosenesoy verpassen. Nimm auch Bouldermatte und Kletterschuhe mit, denn hier gibt es das visuell weit und breit attraktivste Klettern. An Ruhetagen lohnt es sich, die beliebten Trekkingtouren rund um Reine und Å auszuprobieren.

Eine andere Insel heißt Flagstadoy und du findest hier zwei wunderschöne Gebiete – Storur mit enormem Boulderpotenzial und Flagstadpollen, wo sich auch der berühmte Boulder Rough Gem 8B von Nalle Hukkataival befindet. Es lohnt sich auf jeden Fall, einen Ruhetag im alten Fischerdorf Nusfjord einzulegen und das Designer-Café mit Galerie in Glasshytta Vikten zu besuchen.

Die Insel Vestvagoy ist größer als die ersten beiden und bietet eine Reihe kleinerer Sektoren. Als Haupt- und am weitesten entwickelter Sektor gilt Uttakleiv an ihrem nördlichen Ende. In der Nähe befindet sich (soweit ich weiß) auch der einzige Sektor fürs Sportklettern mit Seil. Er heißt Eggum. Die kleinen Sektoren auf Vestvagoya haben normalerweise nur ein paar Boulder, aber sie sind es wert. Nicht weit vom Dorf Sand entfernt befindet sich beispielsweise der Boulder Outlook 7C, der seinen Namen deshalb erhielt, weil er über Stein zum Leuchtturm hinaufführt. Im Süden der Insel befindet sich die wahrscheinlich fotogenste Kante der Insel – King Fisher 7A. Wenn du dich für Mythen und Legenden der Wikinger interessierst, besuch das Wikingermuseum im Zentrum der Insel Lofotr.

Die kleinste Insel heißt Gimsoy. Boulder findest du hier nicht so viele, aber dank einiger von ihnen – namentlich z. B. Finnish Line 6B – wirst du einen Besuch nicht bereuen. Ich empfehle auch eine Wanderung auf den Berg Hoven im Norden der Insel.

Was das Klettern angeht, hat die nördlichste Insel Austvågoy am meisten zu bieten. Die Küste bei Svolvær und Heningsvær ist mit tollen Felsbrocken übersät. Die meisten traditionellen Routen finden sich ebenfalls auf Austvågoy, was insgesamt eine höhere Konzentration von Kletterern und Boulderern bedeutet. Wenn du nach Heningsvær oder Kallestrand fährst, solltest du unbedingt in Presten Boulders und Stem Bastensen haltmachen. Eine Reihe schöner Boulder findest du auch an den Stränden entlang der Strecke nach Svolvær. Austvågoy ist auch die Insel, auf der wir am meisten gewandert sind, weil es hier höhere und dramatischer aussehende Berge gibt, die wunderschöne Aussicht auf die Umgebung bieten.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass das Bouldern auf den Lofoten noch in den Kinderschuhen steckt, sich eine abenteuerliche Expedition in den Norden jedoch aus vielerlei Gründen lohnt, nicht nur wegen des Kletterns. Wenn du dich dorthin aufmachst, nimm Rücksicht auf die Natur und die Einheimischen, denn gerade die einzigartige Natur und die Einheimischen verleihen den Inseln ihre Atmosphäre. Und vielleicht treffen wir uns dort ja sogar, weil ich mir sicher bin, dass der zweite Besuch nicht mein letzter war!

FOTO: Climbing Bus, Lucie Šancová