Florián: Kolumbianische Sportrouten für Abenteurer

Florián ist eine kleine Stadt mit riesigem Kletterpotenzial. Kalksteinhöhlen und Wasserfallkaskaden schmücken die Berghänge in diesem abgelegenen Stück Andenwildnis. Vertikale Wände, steile Überhänge und Stalaktiten machen Florián zu einem Top-Gebiet für alle, die bereit sind, für perfektes Klettern eine etwas längere Reise in Betracht zu ziehen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich der internationale Ruf Kolumbiens dramatisch verändert. Gewalt und Bürgerkrieg sind zu Ende und Touristen überfluten das Land, um die vielfältige Kultur, die natürlichen Panoramen zu genießen und mit den freundlichen Einwohnern zu kommunizieren. Das heutige Kolumbien ist ein Paradies für Rucksacktouristen und auch sein Kletterpotenzial entwickelt sich. Die Klettergemeinde ist hier klein, es herrscht eine gute Atmosphäre und eine hohe Motivation. Einige klassische Gebiete wie Suesca in der Nähe von Bogota existieren schon seit den 1980er Jahren. Wenn Du Lust auf Abenteuer hast, konzentriere Dich auf die neueren Gebiete, die weiter von den Wanderwegen entfernt sind. Ich selbst habe drei Jahre in Kolumbien gelebt und meine Reiseleidenschaft hat mich an viele abgelegene Orte im Land geführt. Voraussetzung ist zu wissen, dass es in Kolumbien immer einen Weg gibt, an weniger zugängliche Orte zu gelangen, nur muss man manchmal improvisieren. Die Kombination mehrerer weniger konventioneller Transportmittel führte mich zu einer Reihe atemberaubender Orte. Florián ist einer davon.

Florián liegt in der gebirgigen Provinz Santander, deren Beliebtheit vor allem unter Adrenalinsportfans allmählich zunimmt. Wenn Du in Santander ankommst und Dich für Extremsportarten interessierst, besuche San Gil. Und lass Dir nicht das Klettergebiet La Mojharra mit seinen wunderschönen, rosa angehauchten Sandsteinwänden entgehen. Beide Orte sind relativ leicht zugänglich. Florián erfordert mehr Mühe, wird Dich aber für den Aufwand reichlich belohnen. Es dauerte nicht lange, bis es sich unter den hiesigen Sammlern neuer Routen herumgesprochen hatte und Florián kurz nach 2010 auf der Kletter-Weltkarte erschien. Eine Reihe von Erstbesteigungen in Florián wurden vom Kletterer und Outdoor-Guide Miguel Angel Garcia mit Unterstützung von Gabriel Rubian und anderen kolumbianischen Kletterern durchgeführt. Die Einheimischen haben zur Entwicklung des Gebiets beigetragen, indem sie Kletterer in ihrem Land willkommen geheißen und bereitwillig Informationen über das Klettern in Florián mit ihnen geteilt haben.

Willkommen im Dschungel

Die Stadt Florián rühmt sich einer tollen Aussicht auf einen steilen, felsigen Berg, von dem ein Wasserfall über Hunderte Meter kaskadenartig bis zum Talboden hinabstürzt. Der Fluss, der sich seinen Weg durch den Berg gebahnt hat, schuf hier eine Höhle, die den Namen Las Ventanas de Tisquizoque trägt (Ventana bedeutet auf Spanisch Fenster, Anm.). Der Blick aus der Höhle auf den Anden-Dschungel und die von einem Felsenfenster eingerahmte Stadt ist ein Blick für die Götter. Das Innere der Höhle bietet hochwertigen Kalkstein mit griffreichen Routen, die von ihrem Boden bis zur Decke führen. Probieren Sie den hiesigen Klassiker Bienvenidos a la Fiesta 7c, eine 20 Meter lange, viel Kraft erfordernde Route entlang kleiner Stalaktiten mit mehreren Schlüsselstellen. Neben ihr verläuft die kürzere, aber ähnlich interessante Route Flower Power 7a+. Die fließende Kombination beider Routen heißt Flower Party 7b. Auf der anderen Seite der Höhle befindet sich vielleicht die ikonischste Route von Florián – El Cacique 6c. Auf ihr erklimmst Du zunächst eine Säule. Von dort aus geht es dann weiter zwischen riesigen, von der Decke hängenden Stalaktiten. Wenn Du Dich in die Kette einhängst, vergiss nicht, den Blick auf die grüne Berglandschaft zu genießen. Der Sektor Las Ventanas ist dank seiner surrealen Lage und unbeschreiblichen Aussichten zweifellos die Hauptattraktion in Florián.

Hier gibt es ungefähr 15 Routen mit Schwierigkeitsgraden von 6c bis 8a+/b. Lass Dich aber von den Zahlen nicht abschrecken. Einfachere Routen findest Du im Sektor El Portón, wo es schätzungsweise zwanzig senkrechte Routen ab Schwierigkeitsgrad 6a gibt. Auch hier gibt es soliden Kalkstein, und obwohl der Sektor El Portón keine vergleichbare Aussicht wie Las Ventanas bietet, ist das Klettern hier abwechslungsreich und macht Spaß. Andere Sektoren in Florián sind La Guaca (bis in 35 Meter Höhe reichende Routen), La Cueva del Indío (kurze, aber verdammt überhängende Route) und La Catedral. Alles in allem gibt es in Florián ungefähr 50 Routen, was wenig erscheinen mag, aber glaub mir, es ist genug für ein paar Wochen Spaß.

Benötigtes Material

Florián ist ein reines Sportklettergebiet, so dass Du einen großen Teil Deiner Kletterausrüstung zu Hause lassen kannst. Egal, welche Route Du in Florián kletterst, kommst Du dabei mit zwanzig Expressen und einem 70 m langen Seil aus. Die Bohrhaken sind in allen Sektoren nagelneu, und Du brauchst Dich auch nicht vor gefährlichen Überraschungen in Form langer Ausstiege zu fürchten. Denk aber unbedingt daran, Deinen Helm mitzubringen! Die Routen sind neu, und daher ist das Steinschlagrisiko hoch, egal wie stabil das hiesige Material sonst ist. Auch eine Stirnleuchte kommt Dir zugute, da es bei bewölktem Wetter recht dunkel in der Höhle wird. Und noch eine Warnung: Beachte die Warnschilder am Rand der Höhle, die auf die Gefahr des Ausrutschens und steigender Pegelstände im Fluss an Regentagen hinweisen. Versuch auf keinen Fall, den Fluss zu überqueren, wenn sein Pegelstand erhöht ist. Es ist nämlich tatsächlich schon passiert, dass der Fluss Menschen, die etwas zu viel riskierten, um ein einzigartiges Selfie zu machen, mitgerissen hat.

Das Wetter um Florián ist angenehmer als Du es wahrscheinlich erwartest. Florián befindet sich auf einer Höhe von 1700 m, sodass die Temperaturen tagsüber bei etwa 21 Grad und nachts bei etwa 15 Grad liegen. In der Zeit von September bis Anfang Dezember und von März bis Mai ist die Regenwahrscheinlichkeit höher, was sich jedoch nicht mit Sicherheit sagen lässt. Es ist jedoch immer besser, mit der Möglichkeit eines unerwarteten Gewitters zu rechnen. Die beste Reisezeit ist außerhalb der Monate mit höherer Regenwahrscheinlichkeit.

Anreise

Nach Florián zu gelangen, ist etwas schwieriger, aber möglich. Wenn Du keinen einheimischen Kletterer findest, der einen freien Platz im Auto hat, sind Busse Deine einzige Option. Der erste Teil Deiner Tour führt Dich in die Stadt Puente Nacional. Aus Bogota fahren Busse des Unternehmens La Reina hierher. Dessen Busse fahren vom Bahnhof Salitre im westlichen Teil von Bogota ab und halten auch am Terminal Norte im Norden der Stadt. Du kannst an einem dieser Bahnhöfe zusteigen. In Puente Nacional angekommen, steig in einen kleineren Bus oder Jeep um, der Dich nach Florián bringt. Beide werden vom Unternehmen Ricaurte betrieben. Die 2,5 bis 3 Stunden dauernde Fahrt kostet COP$ 12.000 (3,15 €). Persönlich empfehle ich, sich vorne in den Bus zu setzen, da man dort auf unbefestigten Straßen etwas weniger umhergeschleudert wird als hinten.

Wenn Du nahe der Felsen sein möchtest, steig im Refugio Munay ab. Dies ist ein Hostel und ein Campingplatz, 4 Kilometer von der Stadt entfernt. Es wird von Miguel Garcia, Gabriel Rubiano und Juliano Echeverry geleitet, drei Kletterern, die zugleich Gründungsmitglieder der hiesigen Klettergemeinde sind. Das Refugio bietet Platz zum Zelten, ermöglicht aber auch die Übernachtung in Betten für Reisende ohne Zelt. In der Stadt gibt es noch ein, zwei andere kleine Hotels und mehrere ausgezeichnete Restaurants. Für Deine Restdays lass Dir einige Wanderrouten empfehlen. Du kannst auch Höhlen erforschen, schwimmen gehen, Vögel in der Wildnis beobachten oder Mountainbiken. Persönlich empfehle ich, sich einen Ort in der Stadt zu suchen, an dem Tejo gespielt wird. Dies ist ein kolumbianischer Nationalsport, den man am besten mit einem Bier in der Hand genießt. Während ich diesen Artikel schreibe, steht auch ein offizieller Kletterführer vor seiner Veröffentlichung. Er wird alle vorab genannten Gebiete abdecken. Bisher war es notwendig, andere zu fragen, was und wie man in Florián klettert, aber es war nie das geringste Problem.

Das Kletterpotenzial von Florián ist immer noch riesig. Viel harte Arbeit mit der Erkundung von Sektoren, dem Bau von Zufahrtswegen und der Reinigung von Felsen ist bereits getan, aber es gibt immer noch eine Reihe von Höhlen und Wänden, in bzw. an denen noch Hunderte, wenn nicht Tausende von Routen gelegt werden können. Florián hat das Potenzial, zu einem bedeutenden Ziel für Kletterer zu werden, die abenteuerliche Reisen mögen.

Kolumbien ist die Wiege des magischen Realismus, einer literarischen Richtung, die das Fantastische und Mythische mit der Realität unserer physischen Welt verbindet. Florián ist ein Ort, der diese Ideen perfekt verkörpert. Wenn Du Dich in die Kette einer schwierigen Route einhängst, wird Dein Körper von einem allumfassenden Gefühl intensiven Erlebens überflutet, wie alle Kletterer es kennen. Nimm dieses Gefühl und kombiniere es mit surrealen Ausblicken aus einer Höhle auf die Gipfel der Anden und unter Dir herabstürzende Wasserfälle. Füge noch eine Prise Einsamkeit hinzu, wie sie nur ein so weit von der Zivilisation entfernter Ort wie Florián bieten kann. Was Du erhältst, ist ein Gefühl des Erstaunens, das wirklich magisch ist.