Loic Timmermans: Nicht nur Kletterer sein

Loic trainiert praktisch jeden Tag der Woche und hofft, seine Heimat Belgien beim historisch ersten olympischen Klettern vertreten zu können. Trotzdem ist Sport ist nicht der Mittelpunkt seines Universums. Er ist ein lebender Beweis dafür, dass sich maximaler Trainingsaufwand mit der Vorbereitung auf eine Anwaltskarriere kombinieren lässt.

Was machst du noch im Leben, außer zu klettern? Träumst du von einer Vollzeit-Kletterkarriere, oder bereitest du dich auf eine "normale" Arbeit vor?

Ich studiere Jura und bin derzeit im letzten Jahr des Vollzeitstudiums. Recht ist meine zweite Leidenschaft. Ich wollte nie "nur" Kletterer sein. Es gefällt mir, einen weiteren –  intellektuellen – Reiz in meinem Leben zu haben. Es ist nicht leicht, ein Gleichgewicht zwischen zwei so unterschiedlichen Dingen zu finden, aber ich glaube, dass es geht, wenn man die richtige Motivation hat.

Wenn meine Wettkampfkarriere endet, möchte ich mich dem Arbeitsrecht widmen.

Was hältst du vom neuen olympischen Format? Möchtest du dich für die 2020 in Tokyo stattfindende Olympiade qualifizieren?

Hat mir nicht gefallen. Ich bin immer am Seil geklettert und habe an der Boulderwand trainiert. Geschwindigkeit war für mich eine neue Sache, die mich nie reizte. Aber ich habe es probiert und bin sogar irgendwann auf den Geschmack gekommen. Ich habe mich daran gewöhnt, auf Schnelligkeit zu klettern. Und ich habe wirklich das Gefühl, dass es mir etwas gegeben hat und ich dadurch ein besserer Kletterer geworden bin. Speedklettern erfordert Koordination, explosive Kraft, Präzision und Kopfarbeit.

In diesem Jahr möchte ich möglichst in allen Wettbewerben erfolgreich sein, um in die Olympia-Auswahl zu gelangen.

Welches Felsengebiet hat dich fasziniert? Hast du vielleicht eine schöne Erinnerung?

Kalymnos. Nach zwei Besuchen würde ich sagen, dass es ein perfekter Ort für einen Kletterurlaub ist. Es ist eine wunderschöne griechische Insel, die jeden Morgen zu einem wunderschönen Sonnenaufgang zum Leben erwacht, wo man mit Motorrädern zu den Felsen fährt, an tollen Tropfsteinen klettert, und wo abends typische Kletteratmosphäre herrscht.

Was ist dein Lieblingsprofil – Überhang, Platte...?

Ich bevorzuge Überhänge. Mir gefallen regelrechte Dächer. Aber ich bin auch in der Lage, technische Abschnitte zu genießen.

Und was würdest du deine Spezialwaffe für die extremsten Momente am Felsen nennen?

Fersenarbeit! Wenn meine Unterarme dichtmachen ich kurz vor dem Fallen bin, bringt Fersenarbeit Erlösung. Gute Fersenarbeit hat mich schon auf einigen Routen gerettet.

Was fehlt deiner Meinung nach der Klettergemeinde heute am meisten? Was und wie könnte man sie deiner Meinung nach verbessern?

Das Klettern nimmt als Aktivität zweifellos zu, und zwar sehr schnell. Es wird 2020 und 2024 olympische Disziplin sein, taucht zunehmend in Dokumentarfilmen (wie jetzt in Free Solo), in populären Filmen und in Werbespots auf... Als einen der wichtigsten Werte beim Klettern sehe ich die Notwendigkeit, meinen Arbeitsplatz zu respektieren – und damit meine ich die Natur.

Mit der wachsenden Bedeutung des Kletterns wachsen die Chancen der Klettergemeinde, die Aufmerksamkeit zum Beispiel auf die Frage des Klimawandels zu lenken.

Welches Kletterbuch / welchen Kletterfilm magst du am liebsten? Und welche, die nichts mit Klettern zu tun haben?

Ich habe kein Lieblingsbuch oder Lieblingsfilm übers Klettern. Alle inspirieren mich in irgendeiner Hinsicht.

Außer Büchern übers Klettern mag ich alles von Ken Follett.

Was würdest du Kletterern empfehlen, die Angst vor einem Sturz haben?

Beim Klettern mit einem Seil empfehle ich, nach und nach das Fallen zu erlernen. Man sollte mit kleinen geplanten Stürzen beginnen, die einem sicher erscheinen, und die Fallhöhe allmählich vergrößern. Wenn das funktioniert, ist man in der Lage zu fallen, ohne darüber nachzudenken. Letztendlich ist der Wunsch, eine Route zu erklimmen, bestimmt größer als die Angst vor dem Fallen, sodass man einfach nicht mehr daran denkt.

Was würdest du Kletterern empfehlen, die mit der Motivation kämpfen? Hattest du überhaupt schon einmal ein Motivationsproblem?

Motivation ist entscheidend. Und der Schlüssel zur Motivation ist meiner Meinung nach ein konkretes Ziel. Wenn ich wenig motiviert bin und keine Lust auf Training habe, mache ich einen Schritt zurück und denke darüber nach, was ich klettern möchte und warum ich das alles mache.

Hältst du dich an einen Trainingsplan? Wie sieht er aus?

Ja, mache ich. Und ich habe mehrere Trainer, die mir helfen – einen Klettercoach, einen Krafttrainer und einen Mentaltrainer. Meine Trainings sind detailliert geplant. Je nach Saison klettere ich 3 bis 4 Mal pro Woche. 2 bis 3 Mal mache ich Krafttraining und 1 bis 2 Mal mache ich spezifisches Training, das auf Fingerkraft, Maximalkraft, Koordination oder Stabilität auf Platten ausgerichtet ist. All diese Aktivitäten werden jedoch immer mehr zu einer Einheit, sodass mein Training für gewöhnlich so aussieht: Aufwärmen, ein bisschen Bouldern, ein paar Versuche auf der Speedroute und dann ans Seil.

Wie sieht es mit dem Essen aus?

Mein Training ist ziemlich anspruchsvoll, und meine Essgewohnheiten sind daran angepasst. Ich versuche, gesund zu essen und vor, während und nach dem Training alle notwendigen Nährstoffe aufzunehmen. Aber natürlich esse ich hin und wieder auch mal was Süßes.

Kannst du dir vorstellen, dein Leben mit jemandem zu verbringen, der nicht klettert? (romantisch gemeint)

Ja, klar.

 

Fotos: Michaël Timmermans